Die französische Marianne I: Marianne als Vertreterin des französischen Volkes, Teil 2

Gabriele Sturm

Hier finden Sie den ersten Teil dieses Artikels. Er behandelt die Marianne-Darstellungen auf französischen Münzen bis zur Zeit der 3. Republik.

 

Münzprägungen der 4. Republik

Nach den Jahren des 2. Weltkriegs und der provisorischen Regierung mit reduzierteren Münzbildern erhält Marianne auch auf den Münzen der Vierten Republik (1947 bis 1958) ihren Platz. Auf den kleineren Nominalen wird sie mit Kokarde am Lorbeerkranz, aber ohne phrygische Mütze dargestellt; auf dem 100-Francs-Stück erscheint sie mit der Weisheitsfackel Minervas und mit Kokarde an der phrygischen Mütze. Auf diesen Prägungen trägt sie erstmals die Kokarde der Revolutionäre – die Anordnung der Farben sollte ursprünglich zeigen, dass die Macht des Königs (Weiß in der Mitte) durch das Volk (Blau und Rot aus dem Pariser Wappen) eingeschränkt wird.

 

Münzprägungen der 5. Republik

Die 5. Republik wurde 1958 von Charles de Gaulle ausgerufen und startete geldtechnisch mit einer Währungsreform. Der alte Franc war noch ein Hundertstel wert und im Laufe der Jahre kamen neue Prägungen in Umlauf. Bis zum Umtausch des Francs in die europäische Gemeinschaftswährung Euro ziert Marianne meist nur mit der Mütze der Freiheit vor allem die Centimes-Stücke. Auf andere republikanische Eigenschaften verweist die Wertseite in Form von Getreideähre und Lorbeerzweig.

Diese weitgehende Gleichsetzung der Personifikationen von Marianne mit der der Freiheit trifft auch auf Prägungen zur Erinnerung an 200 Jahre Französische Republik (1992) oder auf die französische Münzgeschichte anlässlich des Abschieds vom Franc (2000) zu. Zwischenzeitlich – z.B. anlässlich der XII. Mittelmeerspiele 1993 – erscheint ein sehr modernisiertes Bild der Freiheit, alias Marianne, mit kurzem, windzerzaustem Haar.

 

Frankreich, 5. Republik. 5 Cent, 2002. Die Marianne wird auf den 1-, 2- und 5-Cent-Münzen Frankreich abgebildet. CoCo FR-2002-0003. Foto: EZB.

Die Euro-Zeit

Mit der Umstellung auf den Euro erhält Marianne ihren Platz auf den Umlaufmünzen, die jede und jeder im Portemonnaie mit sich führt. Die Euro-Informationen schreiben dazu: Fabienne Courtiade, Graveurin der Monnaie de Paris, hat eine Marianne „jung und feminin, mit energischen Zügen“ dargestellt, die „den Wunsch nach einem starken und beständigen Europa“ verkörpert und auf den 1-, 2- und 5-Cent-Münzen abgebildet ist. Sie zeichnet sich allerdings wieder nur durch die Symbolik der republikanischen Freiheit – die phrygische Mütze mit angesteckter Kokarde – aus!

 

Frankreich, 5. Republik: 2 Euro, 2015. 225. Jahrestag des Föderationsfestes. CoCo FR-2015-0011. Foto: Emporium Hamburg / EZB.

Zudem erschien 2015 eine 2-Euro-Prägung mit einem weiteren Portrait der Freiheit – bzw. laut Beschreibung der herausgebenden Monnaie de Paris: der Marianne – anlässlich des 225. Jahrestags des Föderationsfestes (französisch Fête de la Fédération): Dieses ist ein berühmtes Fest auf dem Marsfeld (Champ de Mars) in Paris, das am 14. Juli 1790 zum ersten Jahrestag der Erstürmung der Bastille als Fest der Versöhnung und der Einheit aller Französinnen und Franzosen abgehalten wurde. 60.000 Abgesandte aus 83 Departements versammelten sich zu den Feierlichkeiten. Ludwig XVI. von Frankreich schwor dabei den Eid auf die Verfassung – 1792 wurde er nach einem Fluchtversuch abgesetzt und 1793 durch die Guillotine enthauptet. 1880 wurde der 14. Juli zum Nationalfeiertag erklärt – als Tag der Einheit, an dem die Republik gefeiert wird. Das Motiv der 2-Euro-Münze zeigt das Profil der Marianne mit einer phrygischen Mütze und einer daran gesteckten Kokarde in den Farben der Trikolore (von innen nach außen: Blau-Weiß-Rot, nach den heraldischen Regeln der Tingierung durch eine Schraffur dargestellt). Links steht eine Strophe“ aus dem 1942 verfassten Gedicht „Liberté“ des französischen Dichters Paul Éluard: „Auf alle gelesenen Seiten / Auf alle leeren Seiten / Stein Blut Papier oder Asche / Schreib ich deinen Namen“. Liberté steht zusätzlich unten auf der Münze neben dem Münzstätten- und Münzmeisterzeichen des Münzgestalters Joaquin Jimenez (Euro-Informationen 2015).

 

Sammlermünzen

Auf den vielfältigen französischen Sondermünzen macht sich Marianne rar. Ihr Bild verschmilzt zudem immer stärker mit dem der Säerin. Diese trägt zwar auch die phrygische Mütze als Zeichen für Freiheit und Unabhängigkeit, aber darüber hinaus repräsentiert sie deutlicher als die Marianne des 19./20. Jahrhunderts das Staatswesen, das für seine Bürgerinnen und Bürger sorgt. In der achtteiligen Serie aus dem Jahr 2008 sät eine europäische Marianne Sterne zu allen Tageszeiten, die am jeweiligen Sonnenstand abzulesen sind, und unterscheidet sich mit diesem Verweis auf die europäische Gemeinschaft von der ursprünglichen Säerin des Jahres 1897.

Das Bild der Marianne verändert sich in den vergangenen Jahrzehnten auf Münzen ähnlich schnell wie auf Briefmarken, wo ihr Bild mit jedem Präsidenten wechselt, oder wie in den Rathäusern, für die die 36.000 Bürgermeister*innen Frankreichs alle paar Jahre eine neue Büste wählen. Seit 1999 erscheint zudem ein Bild von Marianne auf allen offiziellen Dokumenten der französischen Verwaltung – da, wo auf deutschen Dokumenten der Bundesadler steht. Marianne ist also vielerorts in Frankreich Kult, wobei sich der Inhalt der Allegorie mit gesellschaftlichen Entwicklungen fortwährend ändert. Abgesehen von einer seit 2017 herausgegebenen dreiteiligen 20-Euro-Serie auf die Werte der Republik kann ihre geringe Präsenz während der letzten Jahre auf den französischen Euro-Sondermünzen, die regelmäßig die Europa oder die Säerin präsentieren, auch dahingehend interpretiert werden, dass in einem gemeinsamen Euro-Raum der durch die frühere Marianne betonte Nationalstaatsgedanke an Bedeutung verloren hat.

 

Frankreich, 5. Republik. 10 Euro, 2021. Ankündigung der Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris. Silber. Auch geprägt zu 250 Euro in Gold und als 2 Euro-Umlaufgedenkmünze. FR-2021-0075. Foto: Monnaie de Paris.

In Ankündigung der Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris präsentiert sich Marianne der Welt wieder und das sehr dynamisch: 2021 als Sprinterin vor dem Eiffelturm, ausgewiesen durch ihre Freiheitsmütze mit angesteckter Kokarde. Sie will als Vertreterin der Nation offenbar nicht nur die Errungenschaften Frankreichs präsentieren, sondern auch modern und kämpferisch in eine vom olympischen Gedanken geprägte Welt voranstürmen.

Fazit

Die französische Nationalallegorie Marianne wird auf Münzen inzwischen seit 125 Jahren präsentiert. Ihre Geburtsstunde lag in eine Zeit, in der zuvor der nationalistische Revanchismus zugenommen hatte, d.h., dass nach dem Deutsch-Französischen Krieg die politischen Einstellungen erstarkt waren, die die gewaltsame Vergeltung für die militärische und politische Niederlage zum Ziel hatten. Zugleich erschien der französische Staat schwach, der Präsident war noch nicht so stark wie heute gestellt und die Kabinette wechselten häufig. In dieser Situation wird Marianne als Repräsentantin eines sich an die eigenen revolutionären Stärken erinnernden Volkes bemüht. Ihr Bild hat sich seither stetig geändert. Dabei spiegelt es nicht nur Moden und Kunststile, sondern transportiert von Beginn an politische Haltungen und Aussagen. Über die Jahrzehnte hinweg vermischen sich die Bedeutungsebenen der Freiheit, der Republik, des Staatswesens und der Nation bzw. des Volkes stark miteinander und sind heute kaum mehr auseinanderzuhalten. Die Bildsprache ist häufig uneindeutig. Es bleiben Interpretationsspielräume, die auch durch Vergleiche mit zeitgleichen Prägungen oder anderen Darstellungen nur bedingt zu verdichten sind. Auch zu Zeiten des Euro ist die Münzgeschichte der Marianne nicht beendet und die zukünftige Entwicklung dürfte weitere neue Bilder mit weiteren Lesarten bringen.

 

Das Thema der Marianne wird uns auch in den nächsten Ausgaben beschäftigen. Diese Reihe wird demnächst fortgesetzt, in dem die Marianne als Symbol französischer Herrschaft auf dem Geld französischer Kolonien und Überseegebiete betrachtet wird.

Dieser Text entstammt weitgehend einer 2016 erschienenen vereinsinternen Broschüre: Sturm, Gabriele (2016). Die französische Nationalallegorie Marianne (Der Steckenreiter – eine zeitgemäße Münzbelustigung für vergnügliche Nebenstunden, Folge 108). Bonn: Numismatische Gesellschaft Bonner Münzfreunde e.V. in der Deutschen Numismatischen Gesellschaft. 

 

Quellen

Euro-Informationen (abgerufen im November 2016). Die nationalen Rückseiten der Euro-Münzen: Die Euro-Münzen aus Frankreich – Baum des Lebens, Säerin und Marianne

Sturm, Gabriele (2013). Die Personifikation der Freiheit im Münzbild seit Ende des 18. Jahrhunderts (Der Steckenreiter – eine zeitgemäße Münzbelustigung für vergnügliche Nebenstunden, Folge 89). Bonn: Numismatische Gesellschaft Bonner Münzfreunde e.V. in der Deutschen Numismatischen Gesellschaft.

Wikipedia, die freie Enzyklopädie (abgerufen im November 2016). Dritte französische Republik / Frankreich / Frauenwahlrecht in Frankreich / Imperialismus / Liste von Nationalallegorien / Marianne / Personifikation.