Eine Frage des Blickwinkels: Latentbilder auf Münzen

Von Daniel Baumbach

Wohl kaum eine moderne Münztechnik hat sich so schnell verbreitet wie das Latentbild. Das hat einen guten Grund: Handelt es sich dabei doch nicht nur um eine neue Möglichkeit die Münze interessant zu gestalten, sondern vor allem auch ein als fälschungssicher geltendes Merkmal. Wir klären, was ein Latentbild eigentlich ist, wie es funktioniert und wie es seinen Weg auf die Münzen fand.

Je nachdem, ob man das quadratische Gemälde von links oder von rechts betrachtet, zeigt dieses Bildnis aus dem Museumsberg Flensburg Mariä Verkündigung oder Maria mit dem Jesuskind. Steht man allerdings frontal davor, sieht man nur eine undefinierte Mischung beider Motive.

Die Technik

Der Duden definiert latent als „vorhanden, aber [noch] nicht in Erscheinung tretend; nicht unmittelbar sichtbar oder zu erfassen.“ Latentbilder sind dementsprechend Bilder, von denen man nicht alles sofort oder gleichzeitig sehen und erkennen kann. Solcher Bilder gab es schon zur Barockzeit: Sie funktionieren, indem zwei bis drei Darstellungen auf unterschiedliche Seiten von Lamellen gemalt werden, die so angebracht sind, dass der Betrachter je nach Blickwinkel ein anderes Motiv an der Wand sehen. Manch einer erinnert sich bestimmt auch noch an Sammelkärtchen aus seiner Kindheit, die beispielweise einen Dinosaurier oder Superhelden in Bewegung zeigen, wenn man die Kärtchen kippt und dreht. Auch das sind Latentbilder.

Auf Münzen haben wir dasselbe zugrundeliegende Prinzip: Latentbilder mit zwei Darstellungen bestehen aus winzigen zweiseitigen Strukturen, wie die Zacken einer Säge. Sie zeigen auf jeder Seite ein anderes Bild, so dass sich die Darstellung ändert, je nachdem wie wir die Münze im Licht drehen. Das Ergebnis hat einen ähnlichen Effekt wie ein Hologramm und wird oft so beschrieben. Andere gängige Begriffe für Latentbilder sind Kippbilder und das im englischen oft verwendete „Multiview Minting.“

Detailaufnahmen des Latentbildes einer spanischen Münze. Foto: Real Casa de la Moneda.

Diese Technik gibt es erst seit den 1990er Jahren auf Münzen, denn nur moderne Gravur- und Prägetechnik macht die nötigen mikroskopischen Details überhaupt erst möglich. Die Modelle werden nicht mehr per Hand und aus Gips gemacht, sondern am Computer modelliert und die für den Effekt nötigen Winkel berechnet. Das Modell mit seinen Mikroelementen kann dank eines Lasers präzise in die Stempel umgesetzt und eingraviert werden. Und schließlich erlauben die modernen Prägepressen es auch, diese feinen Strukturen selbst auf den in Massenproduktion hergestellten Umlaufmünzen einzusetzen.

Der letzte Punkt ist entscheidend, denn tatsächlich ist es so, dass diese Technik nicht, wie bei neuen Techniken in der Regel üblich, zuerst auf NCLT oder Gedenkmünzen auftauchte, sondern auf Umlaufmünzen. Das hat einen klaren Grund: Die Latentbilder sind zwar ein ansprechendes Element, dass durchaus gekonnt gestalterisch eingesetzt wird, aber viel entscheidender scheint ihre gleichzeitige Funktion als Sicherheitselement zu sein. Denn der nur mit Mikrogravur durch einen Laser zu erreichende Latentbild-Effekt gilt wegen der benötigen modernen Anlagen allgemeinhin als nicht fälschbar. Dazu kommt, jede Münzstätte mit moderner und gängiger Maschinerie diese Technik anwenden kann – Spezialausrüstung ist nicht vonnöten. Entsprechend stark hat sich die Technik im Bereich der Umlaufmünzen etabliert: Wohl kaum eine andere moderne Münztechnik hat sich so schnell um den Erdball verbreitet.

Die erste Münze mit einem Latentbild: 500 Pesetas 1993.

Von Spanien in die Welt

Entwickelt wurde diese Technologie von der Spanischen Münzstätte. Als weltweit erste Münze mit einem Latentbild gelten die spanischen 500 Pesetas-Umlaufmünzen, die ab 1993 dieses Feature aufweisen. Je nach Winkel zeigt das runde Latentbild auf der Rückseite das Logo der Münzstätte (ein gekröntes M) und die letzten zwei Ziffern der jeweiligen Jahreszahl. Ab 1994 wurden auch die Umlaufgedenkmünzen zu 2000 Peseten mit einem Latentbild ausgegeben.

Mit dem Euro verschwanden die Latentbilder aus dem Zahlungsverkehr in Spanien – Sicherheitstechnisch in gewisser Weise ein Rückschritt. Es hätte aber übrigens auch anders kommen können: Sieht man sich frühe Entwürfe von Luc Luycx zu den gemeinsamen Vorderseiten der Euromünzen an, findet man dort bei 1 Euro und 2 Euro-Münzen kleine Kreise unterhalb des Nominals – hier waren Latentbilder im Gespräch! Ihre Verwendung wurde jedoch letztendlich verworfen.

Anders als beim Euro verbreitete sich die Technik ab ca. dem Jahr 2000 auf zahlreichen Umlaufmünzen und einigen Gedenkmünzen aus aller Welt. Latentbilder findet man inzwischen beispielsweise auf Münzen aus Russland, Japan, Polen, Singapur, Thailand, Taiwan, Malaysia, Kanada, Singapur, Syrien, China, Simbabwe, Tadschikistan, Libyen, Südafrika, Südkorea, Jersey, Guernsey und Georgien. Es sei nochmal besagt: Dass sich eine Technik so schnell auf Umlaufmünzen weltweit durchsetzt, ist absolut bemerkenswert.

Spanische Gedenkmünzen trugen weiter regelmäßig dieses Feature, und auch die anderer EU-Länder wie Griechenland, Belgien und der Niederlande, um nur einige zu nennen. Klassischerweise beschränkten sich die Latentbilder auf ein kleines kreisrundes Feld oder eine Fläche, doch auch ganzseitige Latentbilder kommen vor, primär bei den Gedenkmünzen.

Die Gemeinschaftsprägung 30 Jahre Europaflagge sah in der luxemburgischen Fassung dank Latentbild etwas anders aus als in den anderen europäischen Ländern (hier Spanien).

Ein Sonderfall

In den EU-Umlauf hat es das Latentbild inzwischen auch geschafft – Dank Luxemburg. Bei europäischen 2 Euro-Gemeinschaftsausgaben von Luxemburg wird in Abweichung von dem Rest der Euro-Länder ein Latentbild eingesetzt. Warum? Weil man sich in Luxemburg gründlich an das Gesetzt hält! Und das besagt klar, dass der Großherzog auf jeder Münze abgebildet sein muss. Da das gemeinsame Design diese Stücke dafür sonst keinen Platz lässt, wurde der Großherzog bei den luxemburgischen Versionen der Gemeinschaftsausgaben (2007, 2009, 2012, 2015) in einem Latentbild untergebracht – sehr zur Freude der Sammler.

Das vierfache Latentbild

Neue Impulse bei den Latentbildern kamen schließlich wieder von deren Erfindern aus Spanien. 2012 erschien dort die erste Münze mit einem vierfachen Latentbild. Bei der 30 Euro-Münze anlässlich des 10jährigen Bestehen des Euros wurden die zweiseitigen Zacken durch winzige Pyramiden ersetzt, deren vier unterschiedlich gravierte Seiten den vierfachen Latentbildeffekt möglich machen. Die Technik ist seitdem regelmäßig auf den spanischen Gedenkmünzen zu finden. Auf Umlaufmünzen wurde diese Technik bisher nicht angewendet.

Niederlande, 5 Euro 2011, auf das 100jährige Bestehen des Münzgebäudes in Utrecht. Foto: Royal Dutch Mint.

Seit 10 Jahren ein Unikum

Ein Unikum stellt eine 5 Euro-Münze dar, die von den Niederlanden 2011 auf das 100-jährige Bestehen des Münzgebäudes in Utrecht ausgegeben wurde. Dem Spanier Juanjo Sanchez gelang die Modellierung eines sechsseitigen Latentbildes, das je nach Winkel die Buchstaben U, K, N, M, D, und R zeigt (für Utrecht Koninklijke Nederlandse Munt Dutch Royal). Und als wäre das nicht genug an Neuheit, trug diese Münze zudem als weltweit erste einen einlesbaren QR-Code! Die Münze wurde folgerichtig 2013 mit dem Coin of the Year Award für die innovativste Münze ausgezeichnet und gewann in dem Jahr ebenfalls den Hauptpreis als Coin of the Year.

Auch die Briten haben das Latentbild als Sicherheitsmerkmal für sich entdeckt. Schon seit 1998 tragen 2 Pfund-Münzen ein Latentbild. Die seit 2017 kursierende, als besonders fälschungssicher geltende 1-Pfund Münze trägt ein Latentbild unterhalb der Queen auf der Vorderseite. Die zusätzliche Sicherheit galt als dringend nötig, sollte es sich doch nach Schätzungen der Royal Mint bei ca. 3% aller kursierenden alten 1 Pfund-Münzen um Fälschungen gehandelt haben. Das Sicherheitsmerkmal scheint sich bewährt zu haben, denn ab 2021 wird auch die britische Anlagemünze Britannia mit einem Latentbild geprägt, um durch Fälschungssicherheit bei Anlegern zu punkten. Damit tut man es der Royal Canadian Mint gleich, die ebenfalls mit Mikroinschriften die Fälschungssicherheit ihre Anlagemünzen garantieren wollen. Es ist gut vorstellbar, dass daher auch andere Anlagemünzen in den kommenden Jahren auf Latentbilder setzen werden.

 

Auf YouTube können Sie sich einen Eindruck des einzigen sechsfachen Latentbilds verschaffen.

Mehr Informationen zum vierfachen Latentbild bietet die Seite der Real Casa de la Moneda.

Auf Cosmos of Collectibles finden Sie weitere Münzen mit Latentbild.