Die französische Marianne II: Marianne als Symbol französischer Herrschaft, Teil 2

Gabriele Sturm

Hier finden Sie den ersten Teil dieses Artikels.

 

Marianne für Kolonien in Südostasien

Die ebenfalls durch Marianne repräsentierte Einheitssymbolik auch auf dem Kolonialgeld weist auf die imperiale Haltung des französischen Staates, bei der Praxis, Theorie und die Benehmensregeln des dominierenden Zentrums auf die regierten fernen Territorium übertragen werden (Wikipedia: Imperialismus, in Anlehnung an Edward Said). Dass die französische Weltmachtpolitik selbst eine relativ bedenkenlose Anwendung militärischer Mittel einschloss, zeigten denn auch die äußerst brutalen Kriege, die der Unabhängigkeit insbesondere Algeriens und der südostasiatischen Staaten vorausgingen.

Speziell in Französisch Indochina wurde zur Unterstützung der angestrebten Einheitsvorstellung auf Münzprägungen nicht nur die Allegorie der Marianne, sondern von 1885 bis 1936 vor allem die der mit einer Strahlenkrone (Verweis auf die bereits 1865 den USA zu Ehren ihrer Unabhängigkeit geschenkten und dann 1886 im New Yorker Hafen aufgestellten Freiheitsstatue) und Liktorenbündel ausgestatteten Republik verwendet. Das Bild der Marianne taucht erst später ab dem Jahr 1896 bzw. 1923 auf – und kann als Abschwächung des sehr hegemonial wirkenden Bildes der Republik verstanden werden. Dabei verschwimmen die beiden Bilder. Vor allem die Darstellung auf den 1-Centime-Stücken (1896 bis 1939) erinnert stark an die Minerva-Darstellung auf den zeitgleich in Frankreich im Umlauf befindlichen, vom selben Stempelschneider geschaffenen Centimes-Stücken (1897 bis 1921). Während auf dem in Frankreich umlaufenden Kleingeld die siegreiche Minerva die junge Republik beschützt, nimmt auf den Kolonialmünzen die links und höher sitzende Personifikation Frankreichs, alias Marianne, die rechts und tiefer sitzende lokale Personifikation des Kaiserreichs Vietnam, alias Annam quoc, unter ihren schützenden Mantel – wie wir es sonst von Schutzmantelmadonnen der katholischen Kirche kennen. Auf den späten Ausgaben, die bis in die Zeit der Indochinesischen Föderation von 1946 bis 1954 gültig waren, trägt Marianne einen Olivenzweig – bittet damit quasi um Frieden im gemeinsamen Territorium bzw. Staatenbund.

Die Verfassung der Vierten Republik war bereits am 13. Oktober 1946 durch einen Volksentscheid beschlossen worden. Die Nachkriegszeit ist nicht nur durch einen Wiederaufstieg Frankreichs in die Weltpolitik, sondern auch durch den Zerfall des Kolonialreiches geprägt. Der erste Indochinakrieg (1946 bis 1954) endete mit der Schlacht um Điện Biên Phủ und dem Verlust aller französischen Kolonien in Südostasien.

 

Marianne für weitere ehemalige Kolonien bzw. französische Überseegebiete

Einige wenige kleine Gebiete des einstigen französischen Kolonialreiches sind noch heute Teil Frankreichs bzw. mit Frankreich verbunden. Der rechtliche Status variiert dabei. Als Teile Frankreichs sind Guadeloupe, Guyane, Martinique, Mayotte und Réunion seit 55 Jahren französische Regionen und haben entsprechend 1999/2002 den Euro als Zahlungsmittel eingeführt.

Die Inselgruppe Saint Pierre et Miquelon ist der Rest der ehemaligen Kolonie Neufrankreich vor der kanadischen Küste und gehört als heutiges Überseegebiet (COM = Collectivité d’outre-mer) trotz des Zahlungsmittels Euro nicht zum europäischen Zollgebiet.

Bei anderen Gebieten ist nach wie vor keine endgültige Beziehung erreicht. So steht Französisch-Polynesien mit der Hauptinsel Tahiti (früher: Französisch-Ozeanien) seit 2003 gegen den Protest Frankreichs auf der UN-Entkolonialisierungsliste (erneuert 2013), woraufhin Frankreich 2004 einen veränderten Autonomiestatus als Überseeland (POM = Pays d’outre-mer) verabschiedete. Das bedeutet, dass das Gebiet nicht Teil der EU ist, die Bürger*innen aber die französische Staatsangehörigkeit haben und entsprechend an Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmen dürfen. Die Position der lokalen Regierung und des lokalen Präsidenten wurde gestärkt; Frankreich ist nach wie vor für Außenpolitik, Justiz, Verteidigung, Innere Sicherheit und Geldwesen zuständig.

Neukaledonien (Kanaky) hat nach den Artikeln 76 und 77 der französischen Verfassung den Sonderstatus einer Überseegemeinschaft mit besonderem Status (Collectivité sui generis). Zwischenzeitlich waren seitens der Unabhängigkeitsbewegung immer wieder Referenden über den weiteren Status der Inseln geplant.

Das frühere britisch-französische Kondominium Neue Hebriden wurde 1980 unter der Staatsbezeichnung Vanuatu unabhängig.

 

Fazit

Die sich selbstbewusst präsentierende weibliche Allegorie auf den im 20. Jahrhundert für Kolonien geprägten französischen Münzen wird in Münzkatalogen und anderen Veröffentlichungen in der Regel als Marianne bezeichnet. Sehr häufig trägt sie jedoch nur die phrygische Mütze – teils sogar mit Kokarde, was sie als kämpferisch-revolutionäre Freiheit ausweist. Andere Insignien der Republik (Eichenlaub, Getreide, Lorbeer, Olivenzweig), die das Bild der Marianne im Mutterland vervollständigen, fehlen hingegen oft.

Allerdings stehen die ikonografischen Aussagen der Münzbilder und die Realität der seitens der Kolonisierten erfahrenen Fremdherrschaft in krassem Widerspruch zueinander. Das zu Einigkeit ermahnende Bild der Nationalallegorie Marianne auf dem Geld der Kolonialherren konnte wegen grundsätzlicher Ungleichheit nur in Leere zielen bzw. gar als Verhöhnung verstanden werden: Eine Einigkeit gleichwertiger Menschen mit gleichen Rechten und Pflichten hat es im französischen Kolonialreich nie gegeben – was die französische Gesellschaft auch infolge der Dekolonisationswanderungen bis heute belastet (Hettinger & Marfaing 2005). Die im Münzbild verwendeten Freiheitsinsignien machten – sofern sie als Symbole einer fremden Kultur überhaupt Verständnis fanden – die erfahrene Unfreiheit, Unterdrückung und Ausbeutung nur umso schmerzlicher bewusst. So steht Marianne auf Kolonialmünzen nicht mehr für die widerständige Stärke eines selbstbewussten Volkes, sondern für den selbstherrlichen und menschenverachtenden Herrschaftsanspruch der imperialistisch agierenden Kolonialmacht Frankreich.

Die Erfahrungen mit den expansiven und übersteigerten Erscheinungsformen des Nationalismus führte in Europa nach dem 2. Weltkrieg zu einer gewandelten Einstellung zu Nation und Nationalstaat. Damit war der Weg frei für ein neu entstehendes europäisches Gemeinschaftsbewusstsein auf Kosten des einzelstaatlichen Nationalbewusstseins. Anders sieht dies in den aus früheren Kolonialgebieten entstehenden jungen Staaten außerhalb Europas aus. Da die von den Kolonialmächten gezogenen Grenzen oft alte Stammes-, Religions- oder Kulturgrenzen schnitten, resultieren daraus bis heute Konflikte.

 

Quellen

arte (10.04.2005). Das Symbol: Marianne (Karambolage 47).

Hettinger, Holger im Gespräch mit Marfaing, Laurence (08.11.2005). Bevölkerung aus ehemaligen Kolonien wird in Frankreich nicht anerkannt. Deutschlandfunk Kultur: https://www.deutschlandfunkkultur.de/.

Nogarède, Annette (16. April 2014). Wirtschaftliche Entwicklung, Nationalismus und Imperialismus: Die tieferen Ursachen des Ersten Weltkrieges. In Agentur für Bildung – Geschichte. Politik und Medien e.V. Berlin (Hg.), Lernen aus der Geschichte.

Sturm, Gabriele (2013). Die Personifikation der Freiheit im Münzbild seit Ende des 18. Jahrhunderts (Der Steckenreiter – eine zeitgemäße Münzbelustigung für vergnügliche Nebenstunden, Folge 89). Bonn: Numismatische Gesellschaft Bonner Münzfreunde e.V. in der Deutschen Numismatischen Gesellschaft.

Wikipedia, die freie Enzyklopädie (abgerufen im November 2016). CFA-Franc-Zone / Frankreich / Französisch-Polynesien / Französische Kolonien / Imperialismus / Kolonialismus / Marianne / Nation / Neukaledonien / Personifikation. https://de.wikipedia.org.

 

Dieser Text entstammt weitgehend einer 2016 erschienenen vereinsinternen Broschüre: Sturm, Gabriele (2016). Die französische Nationalallegorie Marianne (Der Steckenreiter – eine zeitgemäße Münzbelustigung für vergnügliche Nebenstunden, Folge 108). Bonn: Numismatische Gesellschaft Bonner Münzfreunde e.V. in der Deutschen Numismatischen Gesellschaft. Diese und mehr Publikationen sind auf der Webseite der Bonner Münzfreunde erhältlich.

 

Hier finden Sie den ersten Teil von Gabriele Sturms Artikel. Einen Beitrag derselben Autorin über die Marianne auf französischen Münzen finden Sie hier (Teil 1) und hier (Teil 2).